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Berlin ist immer eine Reise wert

Etwa zweimal im Jahr fahre ich nach Berlin, um meinen Freund zu besuchen. Meistens bleibe ich zwei Nächte. An einem oder auch an zwei Abenden gehen wir ins Theater – diesmal Tape von Stephen Belber im Deutschen Theater –, und einen Tag verbringe ich immer allein in der Stadt. Auch da gibt es für mich einige Fixpunkte: ein zwei- bis dreistündiger Besuch des Jüdischen Museums, essen im Restaurant Hackescher Hof, verbunden mit einem kurzen Bummel über den Hackeschen Markt. Und zum Abschluss des Kulturprogramms besuche ich jeweils ein Museum, das mir mein Freund vorschlägt. Als bayerisches Landei bin ich immer ganz stolz, wenn ich mir alle U- und S-Bahnverbindungen selbst heraussuche und mit einem Stadtplan bewaffnet meine jeweiligen Zielobjekte auch tatsächlich finde. Naja, ich will's zugeben, manchmal bin ich ganz froh, dass ich auch ein Navi auf meinem iPhone habe.

Diesmal besuchte ich die Ausstellung Surreale Sachlichkeit in der Sammlung Scharf-Gerstenberg gegenüber von Schloss Charlottenburg. Leider war ich bei meinem Besuch sehr spät dran, sodass die Zeit nur noch für einen Blitzdurchgang reichte. Umso erfreulicher war es, dass sich mein Freund Stefan am nächsten Tag Zeit nahm und mit mir noch einmal die Ausstellung besuchte, obwohl er schon zweimal dort war.

Ich war einfach begeistert. Dass Otto Dix zum Beispiel humorvolle und ironische Bilder gemalt hat, war mir irgendwie schon bewusst. Mir ist es aber noch nie passiert, dass ich vor einem Bild stand und lauthals lachen musste, wie es mir vor dem Bild Die Familie des Malers Adalbert Trillhaase passiert ist. Ein derart ironisierendes und demaskierendes Bild habe ich selten gesehen. Oder das Bild mit dem Titel Grauer Tag von George Grosz, das einen schielenden Beamten zeigt. Es sind Bilder, die sich mir einprägen und in mir lebendig bleiben, Bilder, die ich mir immer wieder ansehen muss, die mich tief berühren und in mir Assoziationen zu Erlebtem und Fantasiertem auslösen und einen ganz subjektiven Prozess der Auseinandersetzung mit meiner Wirklichkeit auslösen.

Wenn ich beispielsweise die Neue Pinakothek in München besuche, zieht es mich zum Abschluss immer zum Bild Feierstunde von Lovis Corinth. Und immer entdecke ich wieder etwas Neues, was mir bisher noch nicht aufgefallen war.

Ich bin kein Kunsthistoriker, kann also nichts zur Bedeutung der einzelnen Werke beitragen. Jedoch kann ich sehr wohl sagen, was Kunst für mich persönlich ist: Kunst führt zu einer Auseinandersetzung mit einer oder besser: meiner Wirklichkeit. Bilder oder Gegenstände oder ganze Ausstellungen, die Anordnung oder das Museum selbst – hier in erster Linie das Jüdische Museum in Berlin – konfrontieren mich mit meiner ganzen Person, mit meinen Erfahrungen, meinem Leben, meinem Empfinden, meinen Träumen, meinen Ängsten und meinen Sehnsüchten.

Wenn ich im Jüdischen Museum im Holocaustturm stehe oder durch die Schief stehenden Stelen des Exils gehe, allein, ohne mich von anderen Besuchern ablenken zu lassen, konzentriert und wach, dann überkommt mich eine tiefe, selten erlebte Traurigkeit, die ich zulassen und der ich mich hingeben muss. Allein diese Erfahrungen sind der Grund, warum der Besuch des Jüdischen Museums für mich zum Standardprogramm meines Berlinbesuchs gehört, wenn man überhaupt von Programm sprechen kann.

Diese beiden Extreme – sowohl die Freude, das Gelächter vor einem Bild als auch die Konfrontation mit den Gräueltaten unserer Vorfahren – machen meines Erachtens Leben aus. Und dass ich dies emotional erfahren und rational über Kunst und Kunstobjekte reflektieren kann, ist den Menschen zu verdanken, die diese Werke geschaffen haben. Sie sind dadurch für mich unsterblich.

Wenn Kunst es schafft, mich mit mir selbst zu konfrontieren, mich auf mich selbst zurückzuwerfen oder mir zu helfen, Wirklichkeit neu oder anders zu sehen und zu begreifen, dann berührt diese Art der Auseinandersetzung therapeutische oder auch religiöse Seiten in mir. Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Doch nicht nur deswegen lohnt sich eine Reise nach Berlin für mich immer.

Leider endet die Ausstellung Surreale Sachlichkeit bereits am 23. April 2017.

Abbildung: © fotolia, anna42f

Josch 21.04.2017, 15.49

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von

Bei mir gehört immer noch ein Besuch im Bagelshop und ein Bummel durch den Prenzlberg dazu ... und mit meiner Cousine viele Stunden "snacken und klönen"!

vom 21.04.2017, 20.20
Antwort von Josch:

Ich habe gar nicht erwähnt, dass wir nach dem Theaterbesuch immer in die "Ständige Vertretung" gehen, ein Lokal, das es mir besonders angetan hat, weil es gutes Kölsch und leckeren Matjes gibt.
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