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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (17)

Bekenntnis (1)

Als Hubert Fürst an diesem trüben Dezembermorgen zum Frühstücken kam, war nur noch die Mutter zu Hause. Der Vater war um diese Zeit schon auf Streife, und sein Bruder Horst hatte wie nahezu jeden Tag bereits um 6.30 Uhr das Haus verlassen. Hubert genoss das Frühstück, das ihm die Mutter so liebevoll zubereitet hatte. Er liebte es, allein die Brötchen in sich hineinzuschaufeln, ohne auf den Rest der Familie Rücksicht nehmen zu müssen.




Gedankenverloren rührte er in seiner Tasse Kakao und nahm einen großen Bissen von der Semmel, die dick mit selbstgemachter Erdbeermarmelade bestrichen war. Was waren das nur für schlimme Wochen, die er seit seinem Ausflug nach Eslarn durchmachen musste? Der Vater hatte zwei Wochen nicht mit ihm gesprochen. Die Mutter verstummte, sobald er die Küche betrat, setzte eine von Furchen und Kummerfalten durchzogene Leidensmine auf und hielt den schweren Kopf devot zur Seite, ähnlich wie Kaplan Meyer bei der Eucharistiefeier, als habe man sie soeben öffentlich der Unschamhaftigkeit überführt. Und sein Bruder zeigte ihm mit höhnischem Dauergrinsen unverblümt seine Schadenfreude. Dabei hatte sich Hubert gerade von ihm Solidarität und Unterstützung erhofft, kam Horst doch häufig betrunken nach Hause und faselte dann von den Weibern, die er angeblich alle haben könne. Aber so war er nun einmal, der große Bruder, der Süßwarenvertreter, dieser Möchtegern-Casanova mit seinen abgebissenen Fingernägeln.

Hubert liebte die von der Mutter eingekochte Erdbeermarmelade. Er konnte einfach nicht genug davon bekommen. Süß war sie, mit ganzen Früchten, nicht zu fest und nicht zu flüssig, von dunkelroter Farbe, himmlisch einfach. Hätte ihn seine Mutter nicht immer wieder wegen seiner Figur ermahnt, hätte er fünf, sechs und noch mehr Brötchen mit dieser Marmelade gegessen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob vielleicht der Rest der Familie auch etwas davon haben möchte.

Der Vater hatte am Sonntag, als sie beim Frühstück saßen, eine derartig blödsinnige Predigt gehalten, dass er am liebsten aufgestanden und das Zimmer verlassen hätte. So wütend hatte ihn das Gerede gemacht. Es ging, wie so oft in letzter Zeit, um seine berufliche Zukunft. Der Alte schwärmte in den höchsten Tönen vom Polizeidienst, der ihn jeden Tag aufs Neue überrasche.

„Für mich ist der Dienst immer noch eine Herausforderung. Jeder Tag gibt mir das wunderbare Gefühl, dass ich für die Menschen in unserem Landkreis wertvoll und wichtig bin“, hatte er mit leichtem Timbre in der Stimme geflötet. Und da hätte Hubert ihm am liebsten das Wort abgeschnitten und ihm ins Gesicht gebrüllt, dass nach seiner Ansicht der Polizeiberuf gotterbärmlich sei. Aber Vater hatte gar nicht gemerkt, wie sehr er ihn mit seinen Versuchen, ihm den Polizeidienst schmackhaft zu machen, immer mehr davon wegtrieb. Er verabscheute dieses miefige Beamtentum aus tiefster Seele; Polizisten waren ihm körperlich einfach zuwider.

„Ich kann mir gar nichts Schöneres vorstellen als den Polizeidienst. Und obendrein ist es ein zukunftssicherer Beruf. In Deutschland hat ein Polizist hohes Ansehen“, hatte ihn der Vater belehrt. „Wenn ich zum Beispiel einem Dieb gegenüberstehe und seine Angst vor mir in seinen Augen aufflackert, da wird mir bewusst, welche Bedeutung ich für ein geordnetes Zusammenleben habe.“

Im übrigen könne Hubert dort mit seiner Unterstützung leicht Karriere machen. „Allerdings kannst du dir dann solche Ausrutscher wie neulich nicht mehr erlauben. Ein Polizist, der in der Öffentlichkeit betrunken angetroffen wird, muss meiner Meinung nach sofort vom Dienst suspendiert werden. Schließlich sollte ein Polizist für den gemeinen Mann auf der Straße Vorbild sein.“

Deswegen sei es im Augenblick am allerwichtigsten, dass Hubert endlich die Mittlere Reife schafft, sonst würde man ihn bei der Polizei ja gar nicht nehmen, hatte der Vater, der Hauptwachtmeister, der Schutzpolizist ohne besonderen Schulabschluss, bedeutungsschwer geendet. Dann war er aufgestanden und ins Wohnzimmer gegangen, hatte den Fernseher angestellt, um sich den politischen Frühschoppen anzusehen.

Hubert ärgerte sich sehr darüber, dass der Vater in letzter Zeit nahezu jede Gelegenheit wahrnahm, um ihn auf seine, zugegebenermaßen, nicht gerade berauschenden Leistungen in der Schule anzusprechen. Wenngleich ihn der Vater so gut wie nie bestrafte – sieht man von dem Faustschlag neulich ab –, drohte er ihm doch häufig, versteckt zwar, freundlich, lächelnd, und bisweilen verhöhnte er ihn sogar. „Wenn jemand mit 19 Jahren die Mittlere Reife immer noch nicht geschafft habe, dann solle er sich eingraben lassen“, sagte er. Dies klang bei seinem Vater so, als verlese er das Vernehmungsprotokoll eines Detektivs, der soeben einen Dieb beim Unterhosen Klauen im Kaufhaus Hertie erwischt hatte.

Und nahezu militärisch schnodderig hatte der Vater seine Ausführungen damit beendet, dass er bereits als Siebzehnjähriger die zweijährige Ausbildung an der Polizeischule in Dresden abgeschlossen hatte. Hubert könne sich ein Beispiel an seinem Bruder Horst nehmen, der, wenngleich nicht glänzend, immerhin seinen Mittelschulabschluss ohne Wiederholung geschafft hatte. „Horst“, so warf er spitz hin, „ist heute ein tüchtiger Vertreter und verdient bereits mit 25 Jahren mehr als ich, wovon du, wie es aussieht, noch Lichtjahre entfernt bist.“ Hubert konnte in so einer Situation nur schwer seine Wuttränen zurückhalten. Der Hauptwachtmeister war einfach nur ungerecht, ohne jedes Verständnis für die Situation seines jüngeren Sohnes. Am meisten ärgerte sich Hubert darüber, dass er ihm den Bruder ständig als Vorbild hinstellte. Es war nur gut, dass Horst an diesem Vormittag noch im Bett lag. Er hätte dessen Feixen und die Grimassen, die er bei solchen Gelegenheiten immer machte, unmöglich aushalten können.



Josch 03.09.2017, 19.43

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