Ausgewählter Beitrag
Freundschaft in Zeiten von Wahlen
Ich habe einen guten Bekannten, man könnte fast sagen: einen Freund, mit dem mich sehr viel verbindet. Wir treffen uns öfter, trinken mal ein Bier oder ein Glas Wein miteinander, reden über Gott und die Welt. Er hat etwa mein Alter, was für mich in vielerlei Hinsicht bedeutungsvoll ist. Man muss dann nicht bei Adam und Eva anfangen, wenn es um Fragen der Sozialisation geht. Ich denke dabei an Schule, Elternhaus, Filme, Bücher, Beat- und Rockgruppen, Beziehungen zu Mädchen in unserer Jugend, den jugendlichen Protest, als es noch um Friedensbewegungen und Wiederaufbereitungsanlagen ging, um Studium und Berufseinstieg in grauer Vorzeit. Es gibt viele Anknüpfungspunkte, die es erleichtern, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Und nun hat eine Bundestagswahl mein Weltbild schwer beschädigt. Wie ich nämlich per Zufall über seine Frau erfahren habe, wählte mein guter alter Bekannter die AfD. Es ist, als habe er sich mit seinen Gefühlen verirrt. Ich bin entsetzt und weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Er hat mir gegenüber nie erwähnt, dass er mit dieser rechtspopulistischen Partei sympathisiert. Im Gegenteil: Wenn wir in der Vergangenheit über gesellschaftliche Erscheinungen und politische Entwicklungen gesprochen haben, hatte ich immer den Eindruck, er sei ganz auf meiner Seite, der ich mich offen zu den sozialdemokratischen, linken und ökologischen Positionen bekenne. Ich hätte kein Problem damit, hätte er konservative, demokratische Parteien gewählt. Aber die AfD wählen, das geht nach meiner politischen Überzeugung nicht.
Wie soll ich ihm nun begegnen? Wie soll ich unbefangen mit ihm über irgendwelche politische Themen diskutieren? Das geht für mich schon deswegen nicht, weil ich es ja nicht von ihm persönlich weiß, sondern über einen Dritten.
Ich überlege, wie es wohl unseren Altvorderen gegangen sein mag, als sie, meinetwegen über viele Jahre hinweg, mit Menschen befreundet waren, die sich plötzlich als Nazis herausgestellt und damit alle zivilen, humanen Werte auf den Kopf gestellt haben. Menschen, die die Nazis abgelehnt haben, wurden ausgegrenzt, abgeschoben und vernichtet.
Der Spitzenkandidat der AfD sprach nach seinem Wahlerfolg vom „Jagen“: er will die Kanzlerin jagen. Als sei sie ein Tier, als habe er das Recht, Menschen zu jagen. Was für ein Vokabular!
„Jagen“ heißt, wie das Wörterbuch sagt: fangen, erlegen, treiben, hetzen, schnell verfolgen. Der alte Mann wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Kanzlerin nicht körperlich jagen, das wird er wohl aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht schaffen. Und ob er die Kanzlerin geistig erlegen kann, das traue ich ihm noch weniger zu als die körperliche Jagd. Dazu hat er sich schon viel zu oft als uninformiert oder zumindest schlecht informierter Zeitgenosse erwiesen. Ich denke da zum Beispiel an seine unsägliche Aussage über Jerôme Boateng. Solche Aussagen könnten auch von Nationalsozialisten stammen.
Wie soll ich also nun mit meinem Bekannten, der solche Leute gewählt hat, umgehen? Wenn er, wie offenbar viele Menschen, die AfD aus Protest gewählt hat, müsste ich ihm dann verzeihen? Als könnte man nach einer Schandtat einfach in den Beichtstuhl kriechen, seine Verfehlungen in der dunklen Anonymität aufsagen und schon sind einem alle Schweinerein verziehen! Wenn es doch nur so einfach wäre.
Wie also soll ich mit meinem Bekannten umgehen? Soll ich über seine dumme Wahl einfach hinwegsehen und so tun, als wüsste ich nichts davon? Mache ich mich damit nicht mit ihm gemein? Oder gar schuldig? Schuldig, weil ich nicht den Mut habe, Missstände, Verfehlungen und niederträchtiges Gedankengut anzusprechen und zu sagen, was ich davon halte? Ich wäre dann keinen Deut besser als der Jäger und sein Wähler.
Wie also soll ich mit meinem Bekannten umgehen? Wäre es nicht konsequent, ihm einfach die Freundschaft aufzukündigen und ihm zu sagen, dass ich mit ihm nichts mehr zu tun haben möchte? Wäre dies nicht ein Zeichen dafür, dass ich Angst habe, ich könnte mich mit solchem Gedankengut kontaminieren?
Ob es sinnvoll ist, sich mit ihm darüber auseinanderzusetzen, lässt sich nicht sagen, bevor man es nicht versucht hat. Die Gefahr des Scheiterns liegt nun einmal in jeder Form menschlicher Beziehung.
Reden ist besser als Schießen, hat Willy Brandt sinngemäß einmal gesagt. Ich muss es versuchen. Vielleicht sieht er ja seine „Verfehlung“ ein. Ob das der Oberjäger allerdings auch so sieht, ist jedoch mehr als fraglich. In seinem Alter ist man in der Regel ziemlich unbeweglich: geistig und körperlich. Man spricht nicht umsonst vom Altersstarrsinn, der letztendlich isoliert.
Abbildung: Copyright Fotolia, ra2 studio
Josch 08.10.2017, 13.12
Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden