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Wie konnte das nur gut gehen?
Ist es nicht erstaunlich, wie Kinder und Jugendliche in den 1960er- und 1970er-Jahren ohne Schaden an Leib und Leben aufwachsen konnten? Ging es nicht schon im frühen Schulalter unendlich gefährlich los? Damals fuhren Kinder doch glatt ohne Fahrradhelm herum. Und keiner regte sich darüber auf. Nicht einmal die Mütter. Die schienen sich überhaupt nicht darum zu scheren, was ihre Kinder auf der Straße trieben. Und so weit ich mich erinnern kann, hat keiner meiner damaligen Schulkameraden nach einem Sturz mit dem Fahrrad – was natürlich auch damals öfter vorkam – ein Schädehirntrauma davongetragen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das heißt nicht, ich würde das Radfahren ohne Helm befürworten. Keineswegs. Ich wundere mich nur darüber, wie leichtsinnig wir doch waren.
Und ebenso gefährlich war das Mitfahren im Auto: keines der Kinder hatte einen Sicherheitsgurt angelegt! Und wieso eigentlich? Ganz einfach: Weil es keinen Sicherheitsgurt gab! Erst ab 1974 musste jeder Neuwagen Sicherheitsgurte haben, und erst ab 1984 wurde bestraft, wer im Auto nicht angeschnallt war.
Was die Anschnallpflicht bewirkte
Die Anschnallpflicht zeigte aber enorme Wirkung, weil damit die schweren Verletzungen und tödlichen Unfälle drastisch zurückgingen. Bis dahin aber saßen nicht selten vier Kinder auf dem Rücksitz in einem VW-Käfer. Allein die Vorstellung, wie dort vier Kinder Platz finden konnten, lässt uns heute zweifelnd zurück. Das ist doch gar nicht möglich. Heute braucht man für vier Kinder mindestens einen VW Bulli oder einen Mercedes Vito.
Dabei saßen damals die Kinder häufig gar nicht, sondern knieten während der Fahrt auf der Rückbank, schauten aus dem Heckfenster, hopsten herum, winkten den nachfolgenden Autofahrern und machten ihnen lange Nasen! Was waren das doch für verantwortungslose Eltern, die so etwas nicht nur zuließen, sondern sich auch noch über die Späßchen ihrer Kinder freuten. Es war scheinbar ein entspanntes Autofahren. Und obwohl diese Autos damals wesentlich schwächer motorisiert waren, kamen sie oft genauso schnell voran wie heute. Klar: Das Verkehrsaufkommen von damals steht in keinem Verhältnis zum heutigen Verkehr. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass mein Vater jemals in einem Stau gestanden ist. Unvorstellbar!
Immer schneller und doch immer langsamer
Neben der wesentlich schwächeren Motorisierung damaliger Autos ist ihre niedliche Größe höchst bestaunenswert. Wenn man heute zum Beispiel einen Mini-Cooper von damals neben einen Mini von heute stellt, sieht man, wie die Autos „gewachsen“ sind. Ein Mini von 1970 war 3,054 m lang, 1,397 m breit und 1,331 hoch. Der „normale Mini hatte ca. 34 PS.
Heute kann ein Mini 4,253 m lang, 1,800 breit und 1,441 hoch sein. Die Normalausführung hat ca. 135 PS, es gibt ihn aber auch mit 220 PS. Daran zeigt sich, wie sich unsere Einstellung zum Auto verändert hat. Eine BMW-Isetta war 2,285 m lang, 1,380 breit und 1,340 hoch. Es gab die Knutschkugel mit 12 und später dann mit 13 PS. Und mit so einem Auto konnte man fahren! Man glaubt es kaum. Von einer Knautschzone keine Spur. Daran hat man offenbar früher nicht gedacht.
Verkehrssicherheit
Ich finde es lohnenswert, über diese Entwicklung einmal nachzudenken, vor allem auf dem Hintergrund der Verkehrssicherheit. Das betrifft zum Beispiel auch die Einstellung zum Fahren unter Alkoholeinfluss. Noch in den 1970er-Jahren machte man darüber Scherze, wenn sich ein Mann nach bedenklich hohem Alkoholgenuss noch ans Steuer setzte und sagte: „Naja, gehen hätte ich ja nicht mehr können. Da musste ich ja fahren.“ Es war ganz wichtig, dass sich diesbezüglich die Einstellung radikal gewandelt hat und dass das Fahren unter Alkoholeinfluss konsequent verfolgt wird. Das zeigt sich am Rückgang der Verkehrstoten. Starben 1970 noch über 19.000 Menschen auf den Straßen in Deutschland, waren es im Jahr 2016 nur noch 3.214. Wobei jeder Verkehrstote einer zuviel ist.
Ist immer schneller, immer größer wirklich besser?
Ich trauere diesen Zeiten nicht nach. Nur zwei Aspekte lassen mich nostalgisch zurückblicken: Da ist einmal das damalige Verkehrsaufkommen, bei dem es so gut wie keine Staus gab und dass man sich für eine bestimmte Strecke einfach genug Zeit nahm. Und der zweite Aspekt betrifft die Überbehütung der Kinder. Die sogenannten Helikopter-Mütter (und auch Helikopter-Väter) schränken meines Erachtens die freie Entfaltung der Kinder massiv ein. Ich hänge der These an, dass sich die Angst der Eltern in die Seelen der Kinder eingräbt. Und da ist das eingangs erwähnte Fahrradfahren ohne Helm nur eine Metapher für Freiheit, ohne dem Fahren ohne Helm das Wort zu reden.
Und auch das „Immer-Größer“ und „Immer-Schneller“ drückt auf die Seele. Es führt dazu, dass das Gefühl für Strecke, für Weite, für Zeit immer mehr verloren zu gehen droht. So scheint es mir zumindest …
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Josch 25.02.2018, 19.48
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