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Schluss mit der freien Meinungsäußerung!
Ich muss noch einmal auf Özils und Gündogans bedauerlichen PR-Termin in London zurückkommen, bei dem die beiden deutschen Nationalspieler dem türkischen Despoten Trikots ihrer Arbeitgeber überreicht haben und bei dem Gündogan sein Trikot mit „Für meinen Präsidenten“ signiert hat. Nun haben die Fans Gündogan beim Spiel Deutschland gegen Saudi-Arabien bei jedem Ballkontat ausgepfiffen. Und das hat den Bundestrainer Joachim Löw auf die Palme gebracht. Irgendwann müsse doch damit Schluss sein, forderte er. Ein Mensch wie Löw, der in der Öffentlichkeit steht und nicht wenig Einfluss hat, fordert von den deutschen Fans, dass es jetzt genug ist und dass sie endlich mit der Pfeiferei auzufhören haben. Dieses Argument kennen wir in Deutschland sehr gut. Es hat bei uns schon eine lange Tradition. Schluss damit! Schluss mit der Aufklärung! Wo kämen wir da hin, wenn jeder seine Meinung kundtun wollte!
Fußball ist ein Sport, der nichts mit Politik am Hut hat
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Verantwortlichen der Mannschaft immer davon reden, dass es im Fußball um Sport gehe, der mit Politik nichts, aber rein gar nichts zu tun habe. Erstaunlich ist für mich diese Argumentation deswegen, weil ich nicht verstehe, aus welchem Grund dann die deutsche Bundeskanzlerin Merkel das Trainingslager der Mannschaft in Eppan besucht hat, wo doch Fußball rein gar nichts mit Politik zu tun haben soll. Wie wir wissen, interessiert zum Beispiel den russischen Präsidenten die Fußballweltmeisterschaft in seinem Land ja auch kein Jota. Und dass die einflussreichsten Politiker der Welt bei wichtigen Spielen auf den Ehrentribünen der Stadien herumsitzen, hat mit Politik überhaupt nichts zu tun. Die interessieren sich halt für Fußball. Und wenn sie schon eine Karte geschenkt bekommen, dann gehen sie eben hin. So einfach ist das.
Nach dem PR-Termin mit Erdogan gab es dann von den DFB-Größen alle möglichen Versuche, den Vorfall kleinzureden. Sogar der deutsche Bundespräsident Steinmeier wurde dafür eingespannt. Anfänglich haben die beiden nichts dazu verlauten lassen. Özil schweigt ja bis heute zu dem Vorfall. Gündogan hat sich zumindest in einem Interview dazu geäußert: er habe sich nichts dabei gedacht, es sei keine politische Aktion gewesen, er habe das Trikot der Höflichkeit halber überreicht. Er lebe und akzeptiere die deutschen Werte und er singe sogar die Nationalhymne mit. Bravo!
Ein altbekanntes Argument in Deutschland
Besonders merkwürdig fand ich jedoch die Art und Weise, wie Oliver Bierhoff, der stets freundliche und unverbindlich-fröhliche Manager der Mannschaft auf Alexander Bommes und Thomas Hitzelsberger reagierte, als sie ihn auf Özil und Gündogan ansprachen. Ob sie wohl keine anderen Themen hätten, dass sie ständig die beiden und ihre Trikotüberreichung aufs Tablett bringen würden. Diese versteckt aggressive Haltung fand ich ziemlich daneben. In Deutschland ist die freie Meinungsäußerung im Grundgesetz verankert. In Artikel 5 des GG heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Und das gilt natürlich auch für Herrn Bierhoff. Er darf seine Meinung frei äußern. Er ist damit allerdings Sprachrohr des DFB, will heißen: So denkt man beim DFB. Also die Medien, sprich die Journalisten, sollen gefälligst das Maul halten, frei nach Matze Knop, wenn er Louis van Gaal parodierend auf eine Frage des Reporters sagt: „Diese Frage gefällt mir nicht.“ Wenn dem DFB etwas nicht gefällt, dann hat die Öffentlichkeit gefälligst zu schweigen und mit der Pfeiferei aufzuhören.
Eine andere Frage: Wer wüsste denn etwas von Bierhoff oder Löw, von Özil oder Gündogan, wenn sich die Journalisten nicht für sie interessierten, wenn die Medien sie ignorierten? Der einzige beim DFB, der bisher das Problem um die beiden türkisch-stämmigen Fußballer angemessen interpretierte, war Dr. Rauball, der Präsident von Borussia Dortmund. Er sagte bei einem Interview mit der Bild am Sonntag: „Das Thema ist in der Tat unterschätzt worden. Und ich glaube auch, dass man es nicht alleine mit den Maßnahmen und Erklärungen, die bisher erfolgt sind, aus der Welt schaffen kann.“
Was bedeuten Özil und Gündogan Einigkeit und Recht und Freiheit?
Ich bin ein großer Fußballfan, der sich nicht nur zur Fußballweltmeisterschaft für Fußball interessiert. Und ich freue mich sehr auf die Spiele in Russland. Aber Menschenleben und Gerechtigkeit, Einigkeit und Freiheit sind mir wichtiger als Fußball. Daher ist es mir auch nicht egal, wenn der türkische Präsident, den Gündogan als seinen Präsidenten bezeichnet, Menschen, die ihm nicht passen, einfach wegsperrt, ohne objektive Gerichtsverfahren, der offenbar nur Journalisten akzeptiert, die seine Meinung verbreiten. Das widert mich zutiefst an. Deswegen kann ich einem Herrn Gündogan nicht abnehmen, dass er sich nichts dabei dachte, als er das mit besagter Widmung versehene Trikot dem Despoten überreichte. Und ganz offensichtlich ist es ihm egal, dass nach wie vor Journalisten ohne Anklage in türkischen Gefängnissen sitzen. Herr Gündogan hat in Deuschland als deutscher Staatsbürger Abitur gemacht. In Sozialkunde hört man am Gymnasium auch vom Grundgesetz und von der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit etc. Daher ist es nicht mit einem Interview getan, in dem man versichert, dass man keine politische Botschaft versenden wollte. Für Gündogan als Mitglied der Mannschaft kann Erdogan nie und nimmer sein Präsident sein. Wie großartig wäre es gewesen, wenn Özil und Gündogan den Despoten aus der Türkei – statt ihm ein Trikot zu überreichen – gefragt hätten, was mit den inhaftierten Journalisten los ist. Wann er gedenkt, sie freizulassen. Das wäre ein Zeichen gewesen! Es hätte ihnen die Pfiffe erspart und unser aller Hochachtung eingebracht, ganz egal, welche Leistung sie im Fußball erbringen.
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Josch 12.06.2018, 14.44
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