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Wertschätzung mit Halbwertszeit?

Krise bedeutet Entscheidung bzw. Wendung
Viele Menschen können das C-Wort nicht mehr hören. Sie demonstrieren gegen die notwendigen Freiheitsbeschränkungen und schließen einfach die Augen vor dem Ansteckungsgeschehen. Schwups: Schon ist sie weg, die Gefahr! Ob wir die Pandemie leugnen, sie ignorieren oder ernst nehmen: Diese Krise betrifft jeden Menschen, mag man sich noch so sehr dagegen sträuben. Das Wort Krise kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Entscheidung, Höhepunkt, Wendung; griechisch krīnō: entscheide. Eine Krise führt also zu Veränderungen, und das bedeutet, dass nach der Krise vieles nicht mehr so sein wird wie es einmal war. Selbst wenn viele Wirtschaftsbosse davon träumen, einfach den Hebel umzulegen, und schon füllen sich wieder ihre Kassen.

Systemrelevante Berufe

Mit der Pandemie kamen Menschen in den Fokus, deren Dienst an der Gemeinschaft bis dahin selbstverständlich war, über die man sich jedoch keine großen Gedanken gemacht hat. Diese sogenannten systemrelevanten Berufe, als da sind: Ärzte, Polizei, Gesundheits- und Altenpfleger, Kassiererinnen, LKW-Fahrer, Müllmänner und Feuerwehr etc. Ganz zu Beginn der Pandemie wurde häufig vom überlasteten Pflegepersonal gesprochen. Die Nachrichten rückten nahezu täglich ihre Bedeutung in den Fokus. Menschen applaudierten zur vereinbarten Zeit aus Fenstern und auf Balkonen den Dienstleistern wegen ihres selbstlosen Einsatzes. Bei der Berichterstattung ging es auch oft um die schlechte Bezahlung des Pflegepersonals. Politiker lobten Sonderprämien aus, auf die das Pflegepersonal bis heute wartet.


Wertschätzung mit Halbwertszeit?

Welch eine Verschiebung der Werte diese Krise doch bewirkt! Vor gut fünfundzwanzig Jahren hatte ich einen Arbeitskollegen, der – mit einer Ärztin liiert – vor mir immer von den kleinen Krankenschwestern sprach, obwohl ich damals schon mit so einer kleinen Krankenschwester verheiratet war.

Ich glaube übrigens nicht, dass das Gehalt so eine große Rolle spielt, wie immer betont wird. Weit wichtiger sind für viele Kranken- und Altenpfleger die Wertschätzung, die Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Und da sieht es ziemlich grau aus. Jedenfalls ist man in Ländern wie der Schweiz, in Schweden oder in den USA wesentlich weiter als hier in Deutschland. In den USA zum Beispiel gibt es ein medicin-science- , Diploma- oder Bachelorstudium zur Krankenfachpflege. In Deutschland dauert die Ausbildung drei Jahre, und man kann zum Beispiel eine zweijährige Zusatzausbildung zur Intensivpflege, eine Ausbildung zur Palliativfachpflege, eine Stationsschwesternausbildung und ähnliches anhängen. Aus, erledigt. Als Elektromeister beispielsweise kann man auch ohne Abitur an einer Hochschule studieren. Warum gibt es nicht ähnliche Weiterbildungsmöglichkeiten für das Pflegepersonal? Natürlich korreliert Wertschätzung mit Gehalt und Status. Als Betriebswirt in einer Bank hat man ein Jahresgehalt ab circa 71.000 € aufwärts, als Pharmareferent 70.000 € etc., als Polizist im mittleren Polizeivollzugsdienst beginnt man mit circa 33.500 €, und im gehobenen Polizeivollzugsdienst kann man bis circa 59.000 € verdienen. Als Gesundheits- und Krankenpfleger beträgt das Jahresbruttogehalt etwa 32.000 €, abhängig vom Arbeitgeber bzw. jeweiligen Bundesland. Als Anästhesiefachpfleger kann das Bruttogehalt bis auf 39.000 € steigen. In den USA hat eine Fachpflegekraft bis zu 61.000 $ Jahresgehalt, in der Schweiz 77.000 CHF. So viel zur Wertschätzung, die sich am Gehalt festmacht.


Woran das Gesundheitssystem krankt

Ich schließe mich der Kritik von Rita Gabler an, Palliativschwester in Erding, die in einem Interview in der SZ am 29. April 2020 unser Gesundheitssystem kritisierte, das seit vielen Jahren immer stärker ökonomisiert werde. Nicht mehr der Patientenwille zähle, sondern das wirtschaftliche Interesse von Kliniken und Pharmaunternehmen. Ich finde, dass Ärzte gut verdienen sollen, schließlich geht es in ihrer Arbeit um Leben und Tod, anders als bei Bankmanagern oder Motorentwicklern und ihren rein wirtschaftlichen Interessen. Warum können Spitzenverdiener nicht einen erheblichen Teil ihrer Gehälter für systemrelevante Berufe abtreten? Damit könnte man wieder mehr Pflegepersonal einstellen, und das könnte sich wieder stärker um den kranken Menschen kümmern.


Fazit

Ob die Krise solch gravierende Veränderungen bewirkt, möchte ich stark bezweifeln. Sollten wir in einem oder zwei Jahren wieder zu einer wie auch immer gearteten Normalität zurückkehren, verschwenden die meisten Menschen bestimmt keinen Gedanken mehr daran, wer ihnen im Krankenbett die Bettpfanne leert oder ihre medizinische Therapie begleitet, koordiniert und überwacht oder dafür sorgt, dass sie nicht wundliegen.


Quellen: Merkur vom 13. Mai 2020; www.praktischarzt.de; Rita Gabler: Eine Krankheit namens Ökonomisierung, SZ vom 29. April 2020; www.researchgate.net et.al.

Abbildung: ©Pexels/jonathan borba

Josch 14.05.2020, 09.22

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Lion

Guter Artikel! :)

vom 14.05.2020, 17.19
Antwort von Josch:

Danke dir für deinen Kommentar.
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