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Dem inneren Kompass folgen
Im Leben eines jeden Menschen gibt es Zeiten, in denen er unzufrieden ist, Phasen, die nicht so laufen, wie er sich das vorstellt. "Das Leben ist eben kein Wunschkonzert", versuchen manche sich dann mit dem etwas abgedroschenen Spruch zu beruhigen. Da kann man nichts machen. Wie schrecklich! Manchmal verschwinden solche niederdrückenden Phasen auch wieder ganz von selbst, zumal dann, wenn es sich lediglich um eine Laune des Schicksals handelt: "Er ist zurzeit nicht so gut drauf!" – "Ihr geht es im Moment nicht so gut!" Oft muss man nur mit den richtigen Leuten reden, und schon lichten sich die grauen Schleier, und das Leben wird wieder bunt. Was aber, wenn es um tiefer liegende Probleme geht, die sich nicht einfach so beiseite schieben lassen? Wenn einem das Leben wie eine perfekte Fassade vorkommt, die man vor sich herträgt, um vor den Mitmenschen zu verbergen, dass es im Inneren brodelt?
Eine Begegnung, die alles verändert
Gibt es solche Begegnungen, die alles verändern oder die das Potenzial haben, das Leben auf den Kopf zu stellen? Tessa Randau erzählt in ihrem splendid ausgestatteten kleinen Ratgeber "Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich", der im dtv-Verlag erschienen ist, auf literarische Weise von einer solchen – fiktiven – Begegnung mit einer alten Dame. Das Leben der Ich-Erzählerin ist scheinbar perfekt, doch in ihrem Innersten fühlt sie sich müde und ausgebrannt. Der tägliche Spagat zwischen Beruf und Familie fällt ihr zunehmend schwer. Bei einem Spaziergang durch den Wald ihrer Kindheit ruht sie sich auf der Bank unter einer alten Eiche aus und denkt über ihr Leben nach. Da setzt sich eine alte Frau neben sie und stellt ihr eine Frage, um genau zu sein, die erste von vier Fragen, Fragen des Lebens, wie die Dame die Fragen nennt. Sie stellt ihr die Frage nicht abrupt, sondern führt sie langsam an sie heran, wie einst Sokrates mit der von ihm entwickelten Hebammenkunst, der Mäeutik. Am Ende kommt die Ich-Erzählerin selbst auf die Frage: "Will ich das wirklich?" Und damit verschwindet die alte Dame und lässt die junge Frau mit der Aufforderung zurück, bis zum nächsten Treffen darüber nachzudenken.
Sich für die Fragen des Lebens öffnen
Die junge Frau ist zunächst skeptisch. Dennoch lässt sie sich auf das Experiment mit unbekanntem Ausgang ein und stellt dabei überrascht fest, welch riesiges Veränderungspotenzial dieser Prozess hat. Es geht um die richtigen, die existenziellen Fragen, das Nachdenken und Reflektieren darüber und die konsequente Umsetzung. Und so begibt sich die junge Frau nach einiger Zeit wieder an den Ort der geheimnisvollen Begegnung und wartet auf die alte Dame, die auch prompt wieder erscheint und ihr die zweite Frage stellt. So geht das weiter, bis sie schließlich zur vierten Frage kommen. Es geht um die Intuition, um den inneren Kompass, den es gilt, wahrzunehmen und sich darauf einzulassen.
Erschwernisse
Was diesen Prozess oft erschwert, das ist der Alltag, aus dem man nicht so leicht ausbrechen kann, wie es scheint. Und wenn, dann geht dieses Ausbrechen nicht ohne Schmerzen vonstatten. Im Buch ist das sehr einfühlsam eingebettet in den Alltag der Erzählerin mit ihren Freundinnen, der Familie, den Anforderungen, die Beruf und Kinder an sie stellen. Schließlich lässt sich diese Realität nicht einfach wegschieben oder in Luft auflösen. Bei den Veränderungen, die die vier Fragen des Lebens anstoßen, geht es darum, nicht alles über Bord zu werfen, aber Ballast abzuwerfen, sich immer wieder die Frage zu stellen: Will ich das wirklich? Oder: Wie wichtig ist das wirklich?
Der größte Ballast, der das Leben unnötig erschwert, sind oft Dinge, die wir vermeintlich zum Leben brauchen, sind Statussymbole, Luxusgüter, Dinge, die Geld kosten und das Leben letztendlich nicht bereichern, sondern erschweren. Sich davon zu trennen, kann unendlich befreiend sein. Dies betrifft allerdings nicht nur materielle Dinge. Dies können auch belastende Beziehungen sein.
Auf das Herz hören und glücklich werden
Wie ein Regenbogen das Herz erwärmt, ist es, wenn es gelingt, auf die innere Stimme zu hören und auf sein wahres Gefühl zu vertrauen. An einer Stelle heißt es im Buch: "Eine chinesische Weisheit lautet: Die Arbeit läuft dir nicht davon, während du deinen Kindern den Regenbogen zeigst, aber der Regenbogen wartet nicht, bis du mit der Arbeit fertig bist." Was sind solche Regenbogen in unserem Leben, die man auf keinen Fall verpassen darf?
Nicht alle Veränderungen lassen sich so einfach und mühelos vollziehen. Es trifft auch nicht jeder auf eine alte, weise Dame, die einem den Weg oder die Richtung zeigt. Und nicht jeder findet die knorrige Eiche seiner Kindheit, um noch einmal von vorn zu beginnen. Aber der Symbolgehalt des Ortes und der Begegnung mit der alten Dame zeigen, wie Intuition, Gefühl und Ratio Auslöser eines erfüllten Lebens sein können. Ein außergewöhnlicher und beeindruckender, sehr schöner Ratgeber, der zum Nachdenken anregt und Veränderungspotenzial birgt.
Tessa Randau, Jahrgang 1976, war Ressortleiterin einer Frauenzeitschrift und ist heute selbstständige Stress- und Burn-out-Beraterin. "Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich" ist ihr erstes Buch. Der Autorin geht es darum, möglichst vielen Menschen zu helfen, zu einem erfüllenden Lebensweg zu finden.
Tessa Randau: Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich. Von einer Begegnung, die alles veränderte. dtv Verlag. München 2020. 126 Seiten. ISBN 978-3-423-34976-5, 9,90 €
Josch 01.07.2020, 18.29
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