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Eintauchen in schöne Bücher

Schöngeistiges und Spannendes in dieser »schweren Zeit«

Wenn man die Formel »in dieser schweren Zeit« googelt, werden einem ausschließlich Trauerbekundungen angezeigt. Und Chatgpt gibt Folgendes aus: „In dieser schweren Zeit ist ein Ausdruck, der oft verwendet wird, um Mitgefühl, Trost oder Unterstützung in schwierigen Lebensphasen auszudrücken. Je nach Kontext kann man den Satz erweitern oder in Beileidsbekundungen, tröstenden Worten oder aufmunternden Botschaften verwenden.«

Das ist schon eigenartig, wie ich finde. Dabei kann »in dieser schweren Zeit« doch auch nur eine Zustandsbestimmung, eine im übertragenen Sinn gemeinte Wasserstandsmeldung für eine augenblickliche gesellschaftliche Situation sein.



Kriege und Ellbogengesellschaften

Seit fast dreieinhalb Jahren Krieg in der Ukraine, seit eindreiviertel Jahren Krieg in Israel, Bürgerkriege in Nigeria, Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo, Bürgerkrieg in Myanmar etc. etc. Die Liste ist gefühlt unendlich. Dazu ein narzisstischer, lügender, pöbelnder und von Rache erfüllter US-amerikanischer Präsident. In Europa die rechtspopulistischen Machthaber in Ungarn, in der Slowakei, nun auch in Polen, eine die Verfassung missachtende AfD in Deutschland, eine rechtsnationale Regierung in Italien, rechtsnationale Gruppierungen in den Niederlanden, in Schweden, die rechtsextreme Partei Rassemblement National und ihre straffällige Anführerin Marie Le Pen in Frankreich.

 

»Heinrich, mir graut vor dir!«

… könnte man mit Gretchen sagen. Es kann einem wirklich angst und bange werden. »Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?«, hat Johann Philipp Neumann im 19. Jahrhundert gefragt (bedauerlicherweise wurde diese poetisch ergreifende Frage ausschließlich kirchlich-religiös verwendet und interpretiert). Natürlich muss ich über das, was mich bedrückt, was mir gesellschaftlich und politisch zu schaffen macht, reden. Schließlich möchte ich ja wissen, was meine Freunde und mir wohlgesonnene Bekannte davon halten, wie sie diese düsteren Zeiten sehen und beurteilen. Aber einen Ausweg aus diesem Loch gibt mir persönlich letztendlich nur die Vertiefung in Arbeit und die anspruchsvolle Literatur, will heißen: schöne Romane, Belletristik, eine fiktionale Welt. Dann will ich auch keine Krimis lesen. Denn dazu bräuchte ich kein Buch lesen, diese Inhalte kann mir das Fernsehen besser vermitteln. Gefühlt 90 Prozent gibt es im Fernsehen ohnedies nur noch Krimis und Sport. Mir geht es vielmehr um Literatur, die mich eintauchen lässt in eine andere Welt. Verständlicherweise und notgedrungen auch in eine konfliktuöse Welt. Allerdings sind das nur konstruierte Konflikte und Kämpfe. Aber kraft meiner Fantasie kann ich diese Konflikte auf meine, auf individuelle Weise ausleben und lösen.

 

Literatur und Emotion

Als ich in jungen Jahren – weil mich schon immer Bücher und Theater ganz besonders interessierten – Neuere Deutsche Literaturwissenschaft sowie Sprache und Literatur des Mittelalters studiert habe, ging es u.a. weniger um die Gefühle, die Literatur auslösen können, sondern um die streng wissenschaftlich ableitbaren und falsifizierbaren Inhalte des jeweiligen Textes. Heute kann ich zwar auf solche technischen Methoden zurückgreifen, aber sie stellen für mich nicht mehr das Non-plus-Ultra der Rezeption dar. Heute ist neben dem Erkenntnisgewinn, den mir Literatur bietet, vor allem der emotionale Bezug beim Lesen entscheidend. Und weil ich diese beiden Rezeptionsstränge – die wissenschaftlich-technische und die individuelle emotionale Herangehensweise – so wichtig und für mich erlösend fand, habe ich mit dem Podcasten begonnen.

 

Der LeseLust-Podcast

Mit meinem Literaturpodcast versuche ich, mir fremden Menschen ein Gefühl für das jeweils vorgestellte Buch zu vermitteln. Daneben hilft mir der Podcast auch, ein Stück weit aus der bedrückenden Realität aus- und in andere, fremde Welten einzubrechen. Mit einem Podcast erreiche ich vor allem Menschen, die an Büchern interessiert sind. Und für mich ist es spannend, beim Gespräch über eine Autorin oder einen Autor und ihr bzw. sein Buch das Gelesene zu reflektieren und einer anonymen Zuhörerschaft zu vermitteln, was mich mental und emotional an dem jeweiligen Buch, den Autorinnen bzw. Autoren und deren Umfeld fasziniert. Dabei kommt mir auch meine frühere Arbeit in Buchverlagen zugute. Warum? Weil ich in dieser Arbeit immer von der jeweiligen Zielgruppe eines Buches ausgehen musste: »Für wen ist dieses Buch gedacht?« Und weil ich mich schon von einem frühen Zeitpunkt des Lektorats an in die Gedankenwelt eines mir bis dahin fremden Autors hineindenken musste. Auch wenn es um Ratgeber oder Fachbücher ging.

 

Lesen ist Eintauchen in eine fremde Welt

Lesen ist also einerseits das Eintauchen in eine fremde Gedankenwelt, andererseits aber fülle und schmücke ich sie mit meinen Gedanken, meiner Erfahrung, meinen Fantasien, meinen Gefühlen aus. Deswegen ist so mancher Leser eines Romans so enttäuscht, wenn er sich die Verfilmung eines Romans ansieht, den er zuvor gelesen hatte. Manche Menschen sagen dann: »Der Film hatte so gut wie nichts mit dem Buch zu tun.« Ja, das ist die eigene Fantasie.

 

Der Realität ausweichen?

Nun könnte man kritisch anmerken, dass ich mit einer solchen Einstellung zur Literatur der Realität ausweiche. Mag sein. Aber wichtiger ist für mich, dass ich durchs Lesen eine destruktive Realität besser aushalten kann. Das ist meines Erachtens die herausragende Macht von Literatur. Sie zeigt mir neue, oft weitgehend unverhoffte Lösungen, bringt mich auf andere Gedanken und hilft mir dabei, alles, was mich bedrückt, besser auszuhalten, zu überwinden und mich nicht davon dominieren zu lassen.

Josch 05.06.2025, 00.00

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