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Die Beherrschung velieren?

Beherrschung, also sich in der Gewalt zu haben, ist etwas, das uns ein ganzes Leben beschäftigt, mit dem wir immer wieder zu kämpfen haben. Und immer wieder gibt es Situationen, in denen wir die Beherrschung verlieren. Es gibt nur wenige Tugenden, die einen so hohen Stellenwert haben. Wehe, wenn jemand die Beherrschung verliert! Denken wir nur an die Diskussionen, die unbeherrschtes Verhalten von Fußballtrainern am Rande des Spielfelds auslösen, wie zum Beispiel jüngst Roger Schmidt oder Jürgen Klopp oder auch Christian Streich.


Tagelang ist Gesprächsstoff, wenn ein Trainer auf die Tribüne verbannt wurde, weil er sich nicht im Zaum halten konnte. Dabei kennt jeder am eigenen Leib solche Niederlagen: Wir haben wieder einmal auf das Stück Sahnetorte nicht verzichten können, obwohl wir eigentlich abnehmen wollten. Wir kämpfen vergeblich gegen Nikotin oder Alkohol. Wir nehmen uns vor, etwas für unsere Fitness zu tun, und dann siegt doch die Bequemlichkeit. Wir ärgern uns, weil wir bei einer Diskussion unter Freunden laut geworden sind.

Manch einer wird von Schuldgefühlen geplagt, wenn er von seinen Stimmungen überflutet wird, wenn ihm die Nerven versagen, wenn ihm wieder einmal die Sicherung durchgebrannt ist, wie man mit diesem Bildwort so schön sagt, wenn er sich gegenüber dem Kollegen am Arbeitsplatz ungerecht verhält, wenn er ein vermeintlich falsches Wort zur falschen Zeit sagt, wenn seine Stimme zu laut wird.

Ist Beherrschung wirklich eine hohe, erstrebenswerte Tugend? Wäre es nicht viel wichtiger, zum richtigen Zeitpunkt ein offenes Wort zu wagen? Ist es wirklich wünschenswert, sich zu beherrschen und nichts zu sagen, wenn der Nachbar über die unermesslich vielen Ausländer und das „Flüchtlingspack“ herzieht? Was ist das eigentlich für eine Beherrschung, die unser inneres Aufbegehren unterdrückt, wenn wir gegen unsere Überzeugung an einem Projekt mitwirken, das wir gänzlich ablehnen?

Ist es Beherrschung, wenn wir schweigen, wo wir etwas sagen müssten, wenn wir wegsehen, wo wir eigentlich hinsehen sollten. Wir lassen uns treiben, wo es um echte Beherrschung, um Zügelung ginge. Es wäre durchaus keine verlorene Zeit, wenn wir öfter mal innehielten und in uns hineinhorchten, um zu fühlen und zu erspüren, was unsere tatsächlichen Gefühle sind, was wir wirklich wollen. Oft beruhigen wir uns sehr schnell mit einer Ausrede oder entschuldigen unser Versagen mit den Notwendigkeiten, die uns das Leben auferlegt und gehen dann zur Tagesordnung über.

Das Wort Beherrschung leitet sich ab von herrschen, von Herr sein. Es meint, Herr der Lage zu sein, den Zustand, den Gegner, den Inhalt, eine Technik, ein Wissenschaftsgebiet, eine Sprache zu beherrschen. Es bedeutet, Macht über etwas zu haben.

Man kann seine Leidenschaften beherrschen, seine Miene oder seine Wut, seinen Zorn oder seine Angst. Ich bin beherrscht von einem Gedanken, einem Wunsch, einer Idee oder auch einem Gefühl.

Selbstverständlich ist es notwendig, sich beherrschen zu können, Herr seiner Gefühle und seiner Empfindungen zu sein, nicht jeder Regung nachzugeben, sich im Zaum zu halten (welch schönes Bild: die Pferde im Zaum halten), seine Nerven zu bewahren, sich unter Kontrolle zu halten. Diese Art von Beherrschung ist für ein friedliches Zusammenleben der Menschen unabdingbar. Es gibt viele Situationen, in denen ich mich zusammennehmen muss, damit eine Sache nicht eskaliert. Es gibt aber ebenso viele Situationen, in denen es angebracht wäre, sich nicht zurückzunehmen, sich keine Zügel anlegen zu lassen, sondern ruhig die Beherrschung zu verlieren und Gesicht zu zeigen, am besten sein wahres Gesicht, dem anderen ungeschützt, also mit offenem Visier, zu begegnen.

Es gibt Situationen, da bleibt mir keine Zeit, lang zu überlegen, ob ich mich zurücknehmen oder meinen Gefühlen freien Lauf lassen soll, weil ich von Emotionen überflutet bin, weil ich meine Traurigkeit nicht beherrschen kann und den Tränen freien Lauf lasse.

Aber es gibt auch die andere Seite, die Kehrseite der Medaille. Dann wäre eine Portion Mut von Vorteil, sich den wahren Gefühlen, Wünschen und Überzeugungen zu stellen, sich auf den Mitmenschen, den Partner, den Kollegen oder Freund einzulassen und zu zeigen, was man denkt und fühlt, was man wünscht, wonach man strebt. Das ist die große Kunst der Beherrschung, die nichts damit zu tun hat, notwendigen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.

Ich möchte immer mehr Herr meiner Selbst werden, weniger fremdbestimmt sein, mich nach Möglichkeit nicht den Erwartungen der anderen zuliebe zurücknehmen, ohne den anderen zu verletzen oder ihn zurückzustoßen. Sich von diesen Erwartungen abzugrenzen heißt ja nicht, den anderen abzuschmettern. Das wäre für mich echte Beherrschung. Und die stellt sich meines Erachtens nicht automatisch ein. Wir brauchen dazu das Gespräch und die echte, ehrliche Auseinandersetzung, gerade nach Situationen, in denen ich mich nicht beherrschen konnte.

Josch 06.11.2016, 20.01

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