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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (4)

Frühmesse (4)

Manchmal malte sich Bertram Situationen aus, in denen er ähnlich wie Strauß allein durch die Macht seiner Worte unliebsame Gegner der Lächerlichkeit preisgab und sie vor allen anderen zernichtete. Er liebte diese verbalen Gewaltfantasien. Sie stimulierten ihn so stark, dass er das Gefühl hatte, allen überlegen zu sein und sie auf seine Art zu beherrschen.



Willy Brandt hingegen war ihm von seiner ganzen Erscheinung her unsympathisch. Bertram konnte diese raue, ewig heisere Stimme einfach nicht ausstehen. Über das, was Brandt politisch vertrat, konnte er allerdings wenig sagen, denn davon verstand er so gut wie nichts. Andererseits fand er ihn auch wieder sehr interessant, weil er so vehement für Berlin eintrat. Aber Bertram vertraute letztendlich dem Vater, der immer sagte, Brandt habe Deutschland im Krieg im Stich gelassen. Brandt sei nach Norwegen geflüchtet. Er sei deswegen ein Feigling, ein Drückeberger, ein Vaterlandsverräter. Und im Übrigen heiße Brandt in Wirklichkeit Herbert Frahm. Den Namen Brandt habe er nur angenommen, um seinen politischen Zickzackkurs besser verschleiern zu können.

Bertram konnte das alles nicht beurteilen. Und er machte sich auch gar nicht die Mühe, hinter die politischen Fassaden zu blicken. Im Grunde genommen interessierte er sich nicht für Politik. In der Zeitung las er lediglich die Lokalnachrichten sowie den Sportteil. Und so war es ihm letztlich egal, welche Partei die Regierung stellte.

»Ecce Agnus Dei, ecce qui tollit peccata mundi«, jammerte Pfarrer Bauer mit einer Leidensstimme, die dieser immer annahm, wenn er die Messe las, und die Gemeinde antwortete laut und demütig:

„Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

Hier beendete Bertram seine familiär-politischen Betrachtungen, erhob sich, ging eilend, mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen, ohne nach links und rechts zu sehen, nach vorn zur Kommunionbank, drängte dort zwei kleine Buben zur Seite, indem er dem einen seinen Ellbogen in die Nierengegend stieß und den anderen zur Seite schob, kniete nieder, öffnete den Mund und ließ sich vom Priester den Leib des Herrn in reiner Gesinnung und ohne jegliches Gefühl von Schuld auf seine herausgestreckte Zunge legen.

Beim Zurückgehen zur Bank überlegte er, wie er es wohl anstellen könnte, mit Gabi zusammenzutreffen.

In der Bank angekommen, kniete er erneut nieder, legte das Gesicht in beide Hände, wie es alle, die zur Kommunion gegangen waren, machten und wartete auf Jesus. Auf diese Weise konnte man, so hatte Kaplan Meyer im Religionsunterricht behauptet, am besten mit dem Sohn Gottes reden. Deswegen konzentrierte er sich auf die allmählich sich auflösende Oblate, die wie eingetrockneter Tapetenkleister an seinem Gaumen klebte und in der sich ja nun Jesus auflöste und von ihm geschluckt wurde.

Allein, er merkte überhaupt nichts von Jesus, und darüber war Bertram wie schon so oft nach dem Kommunionempfang enttäuscht. Wenn er wenigstens Herzklopfen bekommen hätte, wie es der Fall war, wenn er an Gabi dachte, die er mit allen Fasern seines jungen Leibes begehrte.

Aber auf der Suche nach Jesus in seinem Mund zeigte sich keine Spur von Erregung. Bertram schüttelte den Kopf, während der Priester vorn am Altar gerade einen Kelch besten Weines hinunterstürzte und das Gefäß dann theatralisch purifizierte.

Ob er Gabi einfach anquatschen sollte? Wie sie wohl reagieren würde, wenn er ihr sagte, dass er sie gern küssen und an ihr herumfummeln würde? Vielleicht gäbe sie ihm ja eine Ohrfeige und ließe ihn einfach abblitzen, blamiert vor den Mitschülern?

Dann stand er abrupt auf, trat auf den Mittelgang hinaus, deutete eine Kniebeuge an, drehte sich ruckartig um und verließ eilig die Kirche, noch ehe Pfarrer Bauer mit seinem Latein am Ende war. An der Tür hörte er ihn noch pathetisch den Segen deklamieren:

„Benedicat vos omnipotens Deus, Pater, et Filius, et Spiritus Sanctus, Amen.“

Doch Bertram kümmerte sich nicht weiter um Vater, Sohn und Heiligen Geist. Hauptsache, die Messe war zu Ende.

 

In der Schule wurde an diesem Vormittag das Thema Bundestagswahl des Langen und Breiten behandelt, was Bertram ziemlich nervte. Er brachte Gabi und ihre makellose Figur einfach nicht mehr aus dem Kopf. Er malte sich aus, wie er mit ihr auf der kleinen Bank hinter dem Sportplatz sitzen und ihr an die vollen, runden Brüste greifen würde. Er wurde immer unruhiger und konnte sich nicht mehr konzentrieren, schon gar nicht auf das, was im Unterricht besprochen wurde. Dabei wusste er so gut wie nichts von Gabi, außer dass sie immer mit Heidi Assenböck nach der Schule mit dem Bus nach Hause fuhr und dass jeder in der Klasse, mit Ausnahme von Karl Wimmer, ganz gebannt auf Gabis wohlgeformten Busen starrte, sobald auch nur der Schatten von ihr auftauchte. Gabi aber tat, als bemerke sie gar nicht, welch geistige Verwirrung ihre Erscheinung, zumal die Offenbarung des V-Ausschnitts ihrer Bluse, bei den jungen Herren auslöste.

Karl Wimmer übrigens wollte nach dem Abitur Theologie studieren und Priester werden. Mit Karl konnte man so gut wie über nichts reden. Er lebte in einer anderen Welt, ging nahezu jeden Tag in die Messe und zur Kommunion und schien geschlechtslos zu sein. Jedenfalls musste Karls Mutter wesentlich konsequenter und effektiver als Bertrams Mutter die Angst vor dem lieben Gott in den Sohn eingepflanzt haben.

Als einige aus der Klasse sich vor Kurzem einmal über Gabi unterhielten, behauptete Franz Wienand in seiner nonchalanten Art, dass er sich vor zwei oder drei Wochen einmal mit Gabi getroffen habe. Sie seien am Ziegensee gewesen und hätten gebadet. Und bei der Gelegenheit habe er sie auch geküsst. Aber das sei wahrlich nicht der Hit gewesen. Gabi habe sich vor ihm wie eine Novizin vor dem nackten Geißel-Christus geziert. Sie sei wahrscheinlich prüde, sonst hätte sie doch wohl seine Zärtlichkeitserweise erwidert, ließ Franz sich in lässigem Männerbass vor den staunenden Kameraden aus. Anders lasse sich ihre Passivität nicht erklären. Jedenfalls durfte er ihr nicht einmal an den Busen fassen. Beim Küssen mache sie ihren Mund auf wie ein Flusspferd und verharre mit der Zunge ganz still, sodass man sich vorkomme wie in einer Flugzeughalle. Nein, mit ihr habe es wirklich keinen Spaß gemacht. Bertram beunruhigte dieses Gerede sehr. Sein Brennen für Gabi jedoch wurde dadurch nicht gelöscht, im Gegenteil: Er war überzeugt, dass es bei ihm ganz anders laufen würde. Bei ihm wäre Gabi mit Sicherheit zärtlich, saugte seine Zunge in sich hinein und animierte ihn, ihre schönen Brüste zu küssen und sie zärtlich am ganzen Körper zu streicheln.

 

Josch 22.02.2017, 12.27

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