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Partnersuche im Zeitalter von Tinder
Verändert eine Informationsgesellschaft mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten digitaler Vernetzung den Menschen? In der Süddeutschen Zeitung vom 3./4. Februar las ich mit Erstaunen, dass laut Tinder Frauen nach wie vor Piloten, Feuerwehrmänner und Ärzte am attraktivsten finden. Und Männer fühlen sich besonders zu Physiotherapeutinnen, Innenarchitektinnen und neben Kommunikationsberufen zu Stewardessen und Krankenschwestern hingezogen. Eine solche Hitliste könnte auch – Kommunikationsberufe einmal ausgeklammert – vor 40/50 Jahren schon so ausgesehen haben.
Über den Wolken
Dem Piloten haftet der Mythos grenzenloser Freiheit und Souveränität an. Ein Pilot beherrscht ein ganzes Flugzeug. Dumme Gegenfrage: Und wie steht es mit Lokführern? Sie beherrschen schließlich einen ganzen ICE, in dem mehr Menschen sitzen als in einem Flugzeug Platz finden. Und ein ICE ist auch verdammt schnell unterwegs, zumindest nach Auskunft der Deutschen Bahn.
Und weil bei Männern Physiotherapeutinnen, Stewardessen und Krankenschwestern hoch im Kurst stehen, vermute ich mal, dass diese Männer gern versorgt, bedient und gepflegt werden, zumal im Alter. Da ist es von Vorteil, mit einer – nach Möglichkeit – jüngeren Krankenschwester verheiratet zu sein …
Alles auf Anfang
Doch Spaß beiseite: Zeigt diese Hitliste nicht, wenn sie denn stimmt, dass sich die Menschheit in den letzten 50/60 Jahren nur unwesentlich verändert hat? Und selbst die modernen Medien konnten keine Veränderung bewirken. Veränderungen gehen eben nicht so schnell. Sie dauern, wie ein Psychotherapeut einmal sagte, mehrere hundert Jahre (stöhn!). Da ist es auch nicht verwunderlich, dass sich unsere Ängste und Sorgen, unsere Wünsche, Träume und Sehnsüchte nicht so sehr von denen unserer Großeltern und Urgroßeltern unterscheiden. Wir sind eben Menschen und keine gefühllosen Maschinen oder Roboter.
Einen Partner kann man sich leider nicht schnitzen
Was ist daran schlimm, wenn man sich einen Partner wünscht, auf den man sich verlassen kann? Der Probleme meistert, der in kritischen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt, der einen – wenn es darauf ankommt – sicher von Punkt A zu Punkt B bringt, mit dem man gewissermaßen abheben, bei dem man sich geborgen und geschützt fühlen kann?
Und was ist daran verwerflich, wenn ein Mann sich eine Partnerin erträumt, die die männlichen Wunden versorgen kann und zu deren Alltag es gehört, (selbstlos) für andere da zu sein? Ja, so etwas wünschen sich viele Menschen. Nicht nur junge! Diese Wunschträume zeigen sich auch in den Unterhaltungsmedien: Filme und Bücher, in denen es ein Happy End gibt, haben Konjunktur! Strukturell durchaus mit den Liebesromanen von Hedwig Courths-Mahler vergleichbar. Und darauf kommt es doch schließlich an: eine Welt, möglichst ohne Konflikte, ohne Streit, ein Leben in grenzenloser – wenn auch langweiliger – Harmonie, nur ja keine Auseinandersetzung. Dann lieber Flucht zum nächsten Piloten, zur nächsten Stewardess, um dann nach kurzer Zeit mit Erschrecken feststellen zu müssen, dass es schon wieder um die gleichen Konflikte geht. Zu dumm! Die (eigenen) Probleme fliegen blöderweise überall mit hin, man kann sie einfach nicht zurücklassen.
Keine Experimente!
Ja, so einfach sind wir gestrickt, Tinder sei Dank. Und in gewisser Weise ist es doch auch beruhigend, wenn es keine Veränderungen, keine unberechenbaren Entwicklungen gibt in einer von Controllern dominierten Welt. Keine Experimente!, wie Konrad Adenauer sagte. Veränderungen können schließlich schmerzhaft sein. Und wer fügt sich schon gern und noch dazu freiwillig (seelische) Schmerzen zu?
Risikofaktor Mensch bei der Partnerwahl
Sich auf einen Menschen einzulassen, ist ja mit ganz erheblichen Risiken verbunden. Es verlangt die Bereitschaft, sich zu öffnen, sich einzulassen, sich hinzugeben, Fehler einzugestehen. Und es verlangt, Konflikte durchzustehen, nicht davonzulaufen, wenn es schwierig wird, wenn es knirscht, wenn es nicht von jetzt auf dann zu einer Lösung kommt. Da kann man noch so oft und intensiv wischen (wie auf Tinder), der andere ist damit nicht weg, er lässt sich auch nicht einfach aus dem Kopf vertreiben, wegwischen. Das braucht schon Zeit.
Wenngleich die Anbahnung einer Beziehung heute dank Tinder leichter und schneller geht, die reale Kontaktaufnahme, das ganz bewusste auf den anderen Zugehen, der Vertrauensvorschuss, der dabei notwendig ist, den kann uns kein Netzwerk, kein Tinder und auch kein Datingportal abnehmen. Insofern ist die Partnersuche zwar modern, eine Partnerschaft zu entwickeln und sie zu leben jedoch ziemlich veraltet, konservativ, ganz und gar nicht digital (virtuell), sondern ziemlich (analog) oder besser: real. Jedoch keineswegs langweilig. Sie ist und bleibt eine Herausforderung, ob mit einem Piloten oder mit einer Physiotherapeutin, ob mit einem Polizisten oder einer Lehrerin, ganz gleich, welchen Beruf der andere hat. Der Beruf spielt nämlich irgendwann gar keine Rolle mehr …
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Josch 04.02.2018, 14.27
na klar, das war eine handfeste themaverfehlung, entschuldigung, aber manchmal fliegen die gedanken so hektisch kreuz und quer und zack ist der finger auf der maus und senden,
ich danke auch für deine beiträge, freut mich hier lesen zu können
vom 09.02.2018, 00.30
Ich verstehe gar nicht, was bei deinem tollen Kommentar eine Themaverfehlung gewesen sein soll. Ich finde ihn sehr hilfreich und das Thema vertiefend. Ich danke dir ganz herzlich dafür. LG, josch p.