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John Williams: Butcher's Crossing

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben

Wir schreiben das Jahr 1873. Der 23-jährige William Andrews bricht nach drei Jahren sein Studium an der Harvard-University ab, um das wahre Leben kennenzulernen. Beeinflusst von Ralph Waldo Emerson, einem Transzendentalisten mit einer idealistischen Naturauffassung, und ausgestattet mit dem Erbe eines Onkels macht sich Andrews auf den Weg in den Wilden Westen.

Als Ziel hat sich William Butcher's Crossing gewählt, weil dort McDonald lebt, wie er erfahren hat, der vor vielen Jahren häufig zu Besuch bei seinen Eltern war, als McDonald noch an der Ostküste lebte und arbeitete. Der frühere Handelsvertreter lebt mittlerweile vom Fellhandel am Rande des kleinen Nests Butcher's Crossing. Von McDonald erhält William den Tipp, sich an Miller, einen hünenhaften Jäger zu wenden, wenn es ihm um das Leben in der Wildnis gehe. In Jacksons Saloon trifft er den finsteren Miller und seinen Vasallen Charly Hoge, dem Miller einst die rechte Hand abschneiden musste und ihm damit das Leben rettete. Und William kann sich Miller und dessen geheimnisvollem Bericht von einem einsamen Tal, in dem Miller vor etwa zehn Jahren eine Büffelherde unvorstellbaren Ausmaßes gesehen haben will, nicht mehr entziehen.

William Andrews und Miller schließen ein Abkommen: William finanziert die Jagd, und Miller wird diese leiten. Es wird Millers Jagd. Der Fellhändler McDonald verspricht dem Jäger, für jedes gute Winterfell 4,50 Dollar zu zahlen, einen Preis, der verhältnismäßig hoch ist, obwohl es immer weniger Büffel gibt und die Nachfrage nach Fellen nach wie vor hoch sei.

Und so ziehen sie Ende August los: Miller, Hoge, der deutschstämmige Häuter Schneider und Andrews mit einem riesigen Wagen, gezogen von acht Ochsen, Lebensmitteln für etwa sechs bis acht Wochen, ausreichend Whiskey für Charly Hoge und in Erwartung der riesigen Büffelherde. Nach unvorstellbaren Strapazen bei ihrer Fahrt durch die Prärie, auf der sie einmal tagelang nach Wasser suchen und Mensch und Vieh am Rande des Verdurstens sind, finden sie tatsächlich dieses Naturparadies, ein geradezu mythisches Tal in den Rocky Mountains, wie Miller prophezeit hatte, in dem riesige Büffelherden still und friedlich weiden. Miller beginnt sofort mit seiner bestialischen Jagd auf die Büffel. Bereits am ersten Tag erlegt er etwa 130 Büffel. Und er scheint nicht eher aufhören zu wollen, bis er den letzten Büffel abgeschlachtet hat. Das Naturparadies ist übersät von Tausenden Kadavern, die einen bestialischen Gestank verbreiten und Wölfe anziehen. Aber Miller ist besessen von seiner Jagd. Nichts und niemand bringt ihn von seinem Morden ab. Da bricht ganz überraschend der Winter mit einem Blizzard herein, und die Männer können den Ort des Gemetzels nicht mehr verlassen. In einem mühsam errichteten Unterstand, in dem sie nur knapp dem Erfrieren entkommen, warten sie das Frühjahr ab. Nach acht Monaten beladen sie Ende April endlich den Wagen mit über 1500 Fellen, lagern weitere 4000 Felle ein und machen sich auf die Fahrt zurück nach Butcher's Crossing. Anfänglich scheint alles gut zu gehen, doch dann kommt es bei der Überquerung des durch die Schneeschmelze mächtig angeschwollenen Flusses zur Katastrophe, bei der Schneider stirbt und sie alles verlieren: den Wagen, die Felle, die Ochsen, den letzten Proviant. Als die drei Überlebenden auf zwei zuschande gerittenen Pferden in Butcher's Crossing ankommen, hat sich inzwischen die wirtschaftliche Lage völlig gedreht: Büffefelle sind nichts mehr wert, der Fellhändler McDonald ist pleite, das Kaff verfällt, da die Eisenbahnlinie 50 km von Butcher's Crossing entfernt verlegt wird. Miller und sein Faktotum zerstören im Rachewahn die einstige Fellstation, und William Andrews ist zwar ratlos, aber er weiß nur eines: Er wird nicht wieder nach Boston zurückkehren. Allerdings weiß er auch nicht, wo ihn das Leben hin verschlagen wird.

Butcher's Crossing ist ein moderner Entwicklungsroman, der sich mit einer sehr schwierigen Phase der US-amerikanischen Geschichte auseinandersetzt. Der Text, der in einer unprätentiösen Sprache gehalten ist und mit distanzierter Klarheit erzählt, ohne jeglichen Schwulst, zieht den Leser in seinen Bann und lässt ihn mit seinen Bildern nicht mehr los. Es gibt, wie tausendfach literarisch und filmisch im Wildwestgenre abgenudelt, keine Helden, die sich heroisch gegen das Böse stellen oder das Böse gegen jedes Recht vertreten. Die Ironie des Textes ist vielmehr der Widerspruch zwischen der Naturphilosophie Emersons und der grausamen Zerstörung eben dieser wunderbaren Natur. Der Roman ist aber auch eine Kritik am grenzenlosen und widernatürlichen Kapitalismus. Und nicht nur deswegen, weil der Roman, der bereits 1960 erschienen ist und erst jetzt - nach dem Welterfolg von Stoner - wiederentdeckt wurde, auch noch 2016 eine Parabel für sinnlose Zerstörung ist, zählt er für mich zur Klassik, zur Weltliteratur. Daneben ist er einfach spannend, von der ersten bis zur letzten Seite. So geht Erzählen.


John Williams wurde 1922 in Texas geboren. Trotz seiner Begabung brach er sein Studium ab. Widerstrebend beteiligte er sich an den Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und wurde Mitglied des Army Air Corps. Während dieser Zeit entstand die Erstfassung seines ersten Romans, der später von einem kleinen Verlag publiziert wurde. Williams erlangte an der University of Denver seinen Master. 1954 kehrte er als Dozent an diese Universität zurück und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung 1985. Er veröffentlichte zwei Gedichtbände und vier Romane, von denen einer mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. John Williams starb 1994 in Fayetteville, Arkansas.

 dtv Verlag, 368 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-423-28049-5, 21,90 €

Josch 17.02.2016, 16.30

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