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Ein wenig Leben

Epos über Freundschaft, Treue, Trauma und menschliche Güte

Malcolm, JB (Jean Baptist), Willem und Jude haben sich am College kennengelernt und sind seitdem eng befreundet. Malcolm studierte Architektur, JB Malerei, Willem Schauspiel und Jude Jura und Mathematik. Nun leben sie in New York und schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, außer Malcolm, Sohn eines sehr vermögenden afroamerikanischen Rechtsanwalts und einer Literaturagentin. Er wohnt bei seinen Eltern in einem Stadthaus, in der Nähe der Park Avenue. JB wird von seiner Mutter, einer promovierten Pädagogin, unterstützt. Wie Malcolm ein Schwarzer, arbeitet JB an der Rezeption einer Zeitschrift, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Am Abend und an Wochenenden malt er in einem Loft in Long Island City, das dem sehr vermögenden Ezra gehört, einem – wie JB sagt – sehr schlechten Künstler.



Biografien

Willem hatte einen schwer behinderten älteren Bruder, Hemming, den Willem sehr liebte. Er konnte es seinen Eltern zeitlebens nicht verzeihen, dass sie ihn nicht informierten, als Hemming starb. Willem kellnert im Restaurant Ortolan in New York.

Von Jude wissen die Freunde nur, dass er aus South Dakota stammt, sonst nichts. Der hoch intelligente Jude weicht Fragen nach seiner Kindheit und Jugend geschickt aus. Jude ist gehbehindert und aufgrund starker Schmerzen zeitweise auf einen Rollstuhl angewiesen. Für seine Freunde machte Jude am College die schwierigen Hausaufgaben, vor allem für Willem, wenn dieser etwas nicht kapierte. Neben dem Jura-Abschluss machte Jude auch noch den Master in Mathematik.

 

Selbstverstümmelung

Zweimal im Jahr sind die vier Freunde bei Julia und Harold Stein eingeladen. Der Jura-Professor Harold war Judes Mentor in Harvard. Da Harold und Julias Sohn Jakob im Kindesalter starb, adoptieren sie Jude, worüber Jude sehr glücklich ist. Jude wird Anwalt in einer sehr bedeutenden Anwaltskanzlei und macht dort Karriere. Auch seine Freunde sind mittlerweile sehr erfolgreich: Malcolm als Architekt, Willem als Filmstar und JB als Maler. Nur Andy, Judes Arzt und enger Freund, weiß, wie Judes Körper aussieht und dass er sich seit seiner Pubertät an Armen und Beinen schneidet. Nachdem er sich mit einem Teppichmesser die Venen beider Arme tief und lang aufschneidet, wacht er in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses auf. Willem zieht aufgrund dieses Vorfalls bei Jude ein, damit er sich um seinen Freund kümmern kann. 13 Monate nach Judes Selbstmordversuch vertraut Willem ihm an, dass er ihn liebt. Die beiden werden ein Paar.

Als Jude sich mit heißem Öl absichtlich verletzt und die Wunde sich entzündet, bringt Andy ihn endlich dazu, sich Willem anzuvertrauen. 

Willem, Malcolm und dessen Freundin Sophie kommen bei einem Autounfall ums Leben. Jude kommt über den Verlust Willems nie mehr hinweg. Als Andy, inzwischen 61 Jahre alt, seine Praxis schrittweise aufgeben will, sieht Jude keinen Ausweg mehr. Drei Jahre nach Willems Tod injiziert sich Jude Luft in eine Arterie, was zu einem Schlaganfall führt, an dem er stirbt. Nur JB ist noch am Leben. Jude hat Harold und Julia einen acht Seiten langen Brief hinterlassen, der sich wie eine Beichte liest und in dem er seine ganze Geschichte schildert.

 

Rezensionen

Da das Buch bereits 2017 im Hanser Verlag erschienen ist, gibt es schon eine ganze Reihe Rezensionen zum Buch. Einige geben den Inhalt ausführlich wieder, was ich hier bewusst vermieden habe, um dem Leser des Buches nicht die Spannung zu nehmen.

Denis Scheck sagte über das Buch, es sei „eines der aufwühlendsten Bücher, das ich seit Langem gelesen habe“. Dem kann ich mich nur anschließen. Selten habe ich ein Buch von solcher Wucht gelesen. Es macht fassungslos, ist mitreißend, wie Andreas Platthaus von der FAZ bemerkte. Man kann das fast 1.000 Seiten umfassende rauschhafte Epos nicht mehr aus der Hand legen. In diesem Buch werden die Auswirkungen von Pädophilie, Missbrauch und Vergewaltigung emotional und rational verständlich. Der Deutschlandfunk bezeichnete das Buch als „eine Herausforderung für jeden Leser ... Im wahrsten Sinn des Wortes ein umwerfendes Buch“.

Die Komparatistik-Abteilung der Universität Mainz bemerkt in ihrer sehr kritischen Besprechung des Buches, es weise auch literarisch gelungene Schachzüge auf: „Dazu gehört der Verzicht auf jeweilige Zeitangaben, konkrete historische Ereignisse oder Dinge wie Filme, Musik oder Literatur, die dem Leser einen Hinweis geben könnten, in welchem Jahr wir uns gerade befinden.“ Das bedeutet schließlich, dass Missbrauch, Vergewaltigung von Kindern und Pädophilie zeitlos sind, dass sie immer und überall auf der Welt vorkommen. Dieses Buch ist neben der Wucht, mit der es daherkommt, auch ein Beitrag, Menschen, denen solches widerfahren ist, besser zu verstehen und nachzuvollziehen, dass die Folgen, vor allem die psychischen Wunden niemals heilen können. Der „Roman kann dich verrückt machen, verschlingen und von deinem Leben Besitz ergreifen“, schrieb The New Yorker, wie es auf der vierten Umschlagseite des Buches heißt. Mehr kann man nicht dazu sagen.

 

Über die Autorin

Hanya Yanagihara, 1974 geboren, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Mit ihrem Roman „Ein wenig Leben“ gewann sie den Kirkus Prize und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize, des National Book Award und des Baileys Prize. „Ein wenig Leben“ ist eines der bestverkauften und meist diskutierten literarischen Werke der vergangenen Jahre. 

Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben. Piper Verlag. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. München, 8. Auflage 2021. 958 Seiten, TB-Ausgabe: 16,00 €. ISBN 978-3-492-30870-0 (Originaltitel: A Little Life)

Josch 14.10.2021, 11.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Helmut Pöllath

Du hattest ja mir schon über diesen Roman erzählt, während ihn du gelesen hast. Deine Rezession auf deinem Blog hat mich jetzt noch neugieriger gemacht. Werde den Roman auf jeden Fall lesen.

vom 14.10.2021, 11.33
Antwort von Josch:

Ich bin überzeugt, dass es dir sehr gut gefallen würde. Aber man braucht Zeit für die Lektüre. Knapp 1000 Seiten eng bedruckt un d manchmal etwas unübersichtliche Sätze.
1. von Christel Boßbach

Mehrere Jahren nach dem Erscheinen des Romans animiert mich dieser Text, das Buch erneut zu lesen. Die großen Linien sind eindrucksstark im Gedächtnis geblieben bis heute, aber es gibt sicher noch Wiederentdeckungen bei den Details.

vom 14.10.2021, 11.16
Antwort von Josch:

Der Hinweis auf das Buch kam von dir. Dafür danke ich dir ganz herzlich. Es gibt einige Bücher, bei denen es sich lohnt, sie mehrmals zu lesen.
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