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Was ein Mann ist

Manns-Bilder

In einer Zeit, in der Romane mit männlichen Protagonisten in den vom Marketing dominierten Lektoraten offenbar chancenlos sind, weckt ein solches Buch, in dem es um den Mann geht, allein des Titels wegen schon mein allergrößtes Interesse. Unbesehen der Frage, ob ein mir bisher fremder Autor meine Sicht auf den Mann verändern oder gar erweitern könne. Vielleicht ergeben sich ja sogar neue Einsichten für mich persönlich und machen damit eventuell notwendige therapeutische Hilfe überflüssig. Ja, es sind schon eigenartige Charaktere, die David Szalay in seinem Roman – der genau genommen eigentlich aus abgeschlossenen Kurzgeschichten besteht, wenn man die erste und die letzte davon ausnimmt, die raffiniert miteinander verwoben sind – entwickelt.



Wie sich der Durchschnittsmann verhält

Ob es Simon oder Ferdinand, zwei sechzehn- oder siebzehnjährige Jugendliche auf Europareise, ob es Bernard, ein junger Franzose auf Billigurlaub, ob Balázs, ein ungarischer Bodyguard, ob Tony, ein pensionierter Diplomat, oder ob es sich um Aleksandr, einen superreichen Oligarchen, der vor dem existenziellen und finanziellen Ruin steht, handelt: Jede dieser Figuren zeichnet ein Detail, eine Eigenschaft, eine Marotte, eine Fantasie, eine Hoffnung, ein Gefühl aus, das mir bekannt vorkommt. Interessant daran ist, was die jeweilige Figur aus ihrem Gefühl, ihrer Neigung oder ihrer Erwartung ans Leben macht. Und das ist nicht unbedingt männerspezifisch, wie mir scheint. So manches davon passt auch auf Frauen. Wenngleich der Rezensent der Neuen Züricher Zeitung kritisiert, dass der Autor den weiblichen Figuren im Buch kaum Beachtung schenkt. Für den Rezensenten Der Zeit zeichnet Szalay neun Varianten desselben männlichen Durchschnittseuropäers. Und damit gehe der Autor an der Zeit vorbei. Neu sei für ihn lediglich, „die Schalheit ungelebten Lebens“. Immerhin etwas für jemand, dessen Leben keine Schalheit kennt.

 

Perspektivenwechsel

Was sich bei mir im Laufe der Lektüre veränderte, war der Vergleich zwischen Fiktion und meiner eigenen Sicht der „Wirklichkeit“. Wenngleich manches Verhalten für mich fremd war, war es aus der Logik der Erzählung heraus für mich nachvollziehbar und erweiterte damit meinen Horizont. Wir wissen ja, dass die Erwartungen, mit der man an die Lektüre eines bestimmten Buches geht, zum allergrößten Teil auch unser Urteil beeinflussen. Wenn ein Kritiker zum Beispiel resümiert, dass Kundera, Franzen oder Kirchhoff das besser können als Szalay, dann kann ich ihm nur raten, deren Bücher zu lesen und zu rezensieren. Dann braucht er seine Meinung nicht zu ändern und muss sich nicht mit ihm fremden Perspektiven auseinandersetzen, das könnte ihn ja übers Lesen hinaus verunsichern.

Da war die Rezensentin der Süddeutschen Zeitung wesentlich offener: Sie überzeugte David Szalays gnadenloser wie mitfühlender und gelegentlich ironischer Blick auf die im Buch geschilderten Lebenskrisen, als da wären „männliche Schwächen, Feigheit, Größenwahn und Selbstmitleid“.

In einer Kritik las ich den interessanten Hinweis, dass sich das Buch auch unter dem Aspekt „verpasste Lebenschancen“ lesen lasse und dass man die Figuren auch unter dem Blickwinkel der verschiedenen Lebensalter auf sich wirken lassen müsse. Das kann ich alles nur unterstreichen. Je weiter ich bei der Lektüre vorgedrungen war, desto spannender fand ich den Text. Wie würde die junge Frau mit dem Zwang umgehen, den ihr Freund, ein junger Sprachwissenschaftler, auf sie ausübte, das von ihm gezeugte Kind abzutreiben? Nicht nur in dieser Episode war die Rolle der Frauen im Buch sehr interessant.

 

Was gute Literatur auszeichnet

Im Übrigen gilt für gute Literatur nicht, was mir vor einiger Zeit eine mir befreundete Agentin zu einem Text mitteilte: Das Buch lasse sich nicht vermarkten, weil der Protagonist ein Mann sei. Wäre es eine Frau, dann hätte das Manuskript durchaus Chancen, in einem Verlag angenommen zu werden. Womit ich wieder bei meiner Eingangsfrage bin …

 

David Szalay, 1974 in Montreal, Kanada, geboren, wuchs in London auf. Er studierte an der Universität Oxford.

Szalay, David: Was ein Mann ist. Hanser Verlag. München 2018. 512 Seiten. ISBN 978-3-446- 25824-8. 24,00 €

Josch 21.02.2023, 18.13

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