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„Sag die Wahrheit?“

Soll man wirklich immer die Wahrheit sagen? Auch wenn die Wahrheit den anderen verletzt? Oder ihm sogar schadet? Ist es nicht töricht, immer bei der Wahrheit zu bleiben? Muss man der Höflichkeit halber mit der Wahrheit nicht sogar manchmal hinterm Berg halten?

Die Frage, was Wahrheit letztendlich ist, beschäftigt vor allem den Philosophen. Sie ist eine der zentralsten Fragen des denkenden Menschen. In der Alltagssprache bezeichnen wir etwas als wahr, wenn es den Tatsachen, der Wirklichkeit entspricht, wenn etwas nicht gelogen ist, wenn ein Sachverhalt zutreffend ist. Wahrheit ist vor allem etwas für Gerichte.

Wenn jemand seiner inneren Wahrheit folgt, wenn er seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, heißt dies aber noch lang nicht, dass diese Wahrheit objektiv ist. Denn zur Wahrheit gehört auch der Standpunkt, den man einnimmt.

 

Politik und Wahrheit

Als vor einigen Jahren der damalige Bundespräsident Horst Köhler seinen Rücktritt erklärte, waren viele Menschen in Deutschland sehr erschrocken. Der Rücktritt kam wie aus heiterem Himmel. Was war passiert? Köhler hatte sich in einem Interview über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr geäußert und diesen mit wirtschaftlichen Interessen Deutschlands begründet. Das hatte nicht nur in den Medien einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Auch wenn Horst Köhler nicht unbedingt „mein“ Präsident gewesen ist, gehörte ihm in diesem Moment mein ganzes Mitgefühl. Irgendwie muss er wohl sehr verletzt worden sein mit dem, was da über ihn geschrieben worden war. Über besagtes Interview musste ich hellauf lachen. Ich dachte mir: Er sagt doch nur die Wahrheit, vielleicht etwas tollpatschig, missverständlich. Aber die Wahrheit darf man offenbar als Politiker nicht sagen. Wo kämen wir da hin, wenn jeder dem anderen schonungslos die Wahrheit ins Gesicht schleudern würde?

In einem Interview, das Köhler ein Jahr später in Die Zeit gab, sagte er: „Die Angriffe auf mich im Zusammenhang mit meinen Äußerungen über sicherheitspolitische Interessen Deutschlands waren ungeheuerlich und durch nichts gerechtfertigt." Seinen Rücktritt habe er aus "Respekt und Wahrhaftigkeit" gegenüber der "politischen Kultur unseres Landes" erklärt.

 

An der Wahrheit scheitern?

Da war er wieder, der Anspruch, den sich der Alt-Bundespräsident auferlegt hatte. Diese Rücktrittserklärung mitsamt der Begleitmusik wird mir nie mehr aus dem Kopf gehen. Ich fand es auch sehr berührend, wie der Präsident seine kurze Botschaft vom Blatt las und immer wieder einen seltsam entsetzten Blick in die Kameras warf. Und was mich fast noch mehr anrührte, war das Verhalten von Eva Luise Köhler, der Gattin des Bundespräsidenten: wie sie still und mit einem seltsam wissenden Lächeln neben und zu ihrem Mann stand. Und nach der kurzen Rücktrittserklärung verließen die beiden Hand in Hand – ein Liebespaar eben – den Ort ihres Triumphs. Sie fühlten sich beide ihrer Wahrheit verpflichtet. Und sie haben sich dieser Wahrheit untergeordnet. Das machte sie frei. Und das hat mich ungemein berührt und mir tiefen Respekt abverlangt. Wie sagte doch Arthur Schopenhauer: „Der Weg zur Wahrheit ist steil und lang: mit einem Block am Fuß wird ihn keiner zurücklegen; vielmehr täten Flügel Not.“

Ach könnte ich doch auch von mir behaupten, dass ich stets meiner inneren Wahrheit folge ...

„Erzähle eine Lüge, damit die Wahrheit ans Licht kommt!“

Von den Philippinen

Josch 01.04.2016, 12.02

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